Erinnerungen in Obergurig im Spreetal
Obergurig / Hornja Horka
Ich verlasse Bautzen, im Autorückspiegel sehe ich noch den Dom, vor mir liegen die Ausläufer des Lausitzer Berglandes, das Oberland, wie es die Einheimischen nennen. Nach fünf Kilometern Fahrt erreiche ich Obergurig (sorbisch Hornja Horka), mein heutiges Ziel. Die Gemeinde entstand 1951 durch den Zusammenschluss der Dörfer Singwitz, Obergurig, Großdöbschütz, Kleindöbschütz, Schwarznaußlitz, Lehn, Mönchswalde, Blumental und der Gemarkung Lehn.
Ursprünglich plante ich eine Wandertour über den Nördlichen Kammweg des Oberlausitzer Berglandes, welcher auch über den Mönchswalder Berg führt. Bei der Suche nach geeigneten Start- und Zielpunkten, wurde ich auf die Gemeinde Obergurig, dem kleinen Ort am Fuße des Mönchswalder Berges, aufmerksam. Dabei lese ich, dass es in der Ortschaft eine „Straße der Erinnerung“ gibt. Das machte mich neugierig und nach einigen weiteren Recherchen änderte ich meinen Ausflugsanlass. Ich lasse das Wandern und begebe mich auf die Spuren der Oberlausitzer Industriegeschichte.
Straße der Erinnerung Obergurig
Die „Straße der Erinnerung“ wurde am 24.03.2018 an der Fortschrittstraße in Obergurig eingeweiht. Der damalige „Förderverein Historische Entwicklung des Landmaschinenbaus Oberlausitz HELO e.V.“ und der örtliche Heimatverein errichteten 10 Erinnerungstafeln, welche die Industriegeschichte der Region widerspiegeln.
Die Geschichte des Landmaschinenbaus in Obergurig bei Bautzen hat eine lange Tradition. Mitte des 19. Jahrhunderts begann sie mit der Gründung einer Firma durch Friedrich August Raussendorf. Damals noch in Kleinboblitz (später Ortsteil von Mönchswalde und durch dessen Eingemeindung letztendlich zu Obergurig gehörend) ansässig, erfolgte der Umzug der Landmaschinenproduktion der Gebrüder Raussendorf im Jahr 1927 nach Singwitz. Neben verschiedenen Landbearbeitungsmaschinen, dominierten Strohpressen und Dreschmaschinen die Fertigung.
Nach 1945 erfolgten eine teilweise Demontage und die Enteignung der Firma. Bis 1951 fertigte man unter dem neuen Namen VEB Kombinus Dreschmaschinenbau Singwitz wieder Strohpressen und Dreschmaschinen. Durch den Zusammenschluss von fünf ostsächsischen Landmaschinenbetrieben aus Neustadt / Sachsen, Stolpen, Singwitz, Bischofswerda und Kirschau wurde am 2. Mai 1951 das VEB Kombinat Fortschritt Landmaschinen gegründet. Im Laufe der Jahre kamen weitere Standorte hinzu, einige verschwanden. Das Kombinat hatte Ende der 1980er Jahre etwa 56.000 Beschäftigte. Singwitz war der Hauptstandort der Mähdrescherproduktion. Vom bekanntesten Mähdreschermodell, dem legendären E 512, fertigten die Singwitzer zwischen 1967 und 1988 über 48.000 Stück.
Mähdrescher aus Singwitz
Die in Obergurig / Singwitz entwickelten Nachfolgetypen E 516 B und E 517 wurden ab 1985 im neu gegründete VEB Mähdrescherwerk Bischofswerda/Singwitz, mit Sitz in Bischofswerda, produziert. Bis 1991 verließen knapp 12.000 Stück die Produktionshallen in Bischofswerda.
Ab dem 1. Juli 1990 gab es keinen Fortschritt mehr. Einen Tag vorher endete die Geschichte des Kombinates, aus dem 53 GmbHs entstanden.
In Singwitz erfolgte eine Umfirmierung in die MDW Mähdrescherwerke AG. Schon 1993 wurde die AG liquidiert und 1995 als „MDW Mähdrescherwerke GmbH Singwitz“ neu gegründet. Bis 1997 produzierten die Mähdrescherbauer die Typen „ERNTEMEISTER“ und „ARCUS“. Für das Axialdreschwerk beim „ARCUS“ erhielten die Singwitzer internationale Anerkennung und Lob. Bis zum endgültigen Ende des Mähdrescherbaus in Obergurig / Singwitz im September 2016 gab es noch einige Firmengründungen und -schließungen. Die gesamte Geschichte des Landmaschinenbaus kann auf den ständig aktualisierten Internetseiten des Historischen Stammtisch Obergurig nachgelesen werden.
Leider wurde der Fördervereins HELO e.V. – „Historische Entwicklung des Landmaschinenbaus Oberlausitz“ zum 21.01.2021 aufgelöst. Die zur Auflösung führenden Gründe machen mich nachdenklich: „… Zu wenig Mitglieder, Überalterung, keiner der mehr Vorstandsarbeit leisten möchte oder kann sowie versiegende Einnahmequellen (Mitgliedsbeiträge, Sponsoring, Förderung) …“.
Ein Rundgang durch Obergurig
Zwar war das Wetter in der Oberlausitz „zwischen den Jahren“ 2023 nicht ganz so angenehm, für einen kleinen Ortsbummel hat es aber gereicht. So kamen im Zusammenhang mit meiner Industriegeschichten-Tour immerhin rund sieben Kilometer Bewegung zusammen. Ein paar bildliche Impressionen in der Folge.