Spurensuche am Schloss Colditz
Die 90 Jahre alte Fotografie
Persönliche Geschichten sind immer dann besonders interessant, wenn die Spurensuche in der Vergangenheit durch alte Fotografien unterstützt wird. Oftmals sind diese Fotos auch erst der Auslöser für solche Exkursionen. Meist ist das Ergebnis der Erkundungen jedoch kaum vorhersagbar. Besonders dann, wenn zwischen dem Aufnahmedatum eines Fotos und dem Besuch der Örtlichkeit rund 90 Jahre liegen. Der in diesem Beitrag von mir geschilderte Fall zeigt aber einmal mehr, neugierig sein und persönliche Nachforschungen machen, kann recht interessant sein.
Eine liebe Bekannte zeigte mir eine Fotografie vom Schlosstor des Schlosses Colditz. Das Foto wurde wohl in den 1930er Jahren aufgenommen. Da ihre Mutter einige Jahre als kleines Kind auf dem Colditzer Schloss gelebt hatte, war das für uns der Anlass, dem Ort und seinem Schloss einen Besuch abzustatten. Wir wussten zwar noch nicht so recht, was wir suchten und was wir erwarteten, waren aber trotzdem auf das Resultat gespannt.
Ich persönlich kenne die Region zwischen den beiden Muldenflüssen, der Zwickauer Mulde und der Freiberger Mulde, fast überhaupt nicht. Nach diesem Ausflug steht aber fest, dieser Zustand wird sich zukünftig ändern. Mit einigen Schwarz/Weiß-Fotografien im Gepäck reisten wir an einem sommerlichen Sonntag im Juli 2023 nach Colditz. Die Stadt ist touristisch gesehen Teil des recht großflächigen Sächsischen Burgenlandes. Allerdings hat Colditz nach meiner Meinung im Gegensatz zu einigen Nachbarstädten, wie z.B. Döbeln, Grimma, Kriebstein, Waldheim oder Wurzen, nicht ganz so viele Sehenswürdigkeiten.
Das Schloss Colditz
Am Schloss Colditz angekommen, es ist ein Objekt der „Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gemeinnützige GmbH“, begaben wir uns zuerst in das Schlossareal. Der Eintrittspreis von 4 € für Erwachsene ist im Gegensatz zu anderen Objekten, die unter der Schlösserverwaltung Sachsen stehen, sehr gering. Gibt es deswegen vielleicht weniger zu sehen? Das wollten wir prüfen. Wir besichtigten den umfangreichen Schlossbereich, dessen Geschichte hier nachgelesen werden kann. Der gewaltige Gebäudekomplex beherbergt heute u.a. ein Fluchtmuseum (von 1939 bis 1945 war das Schloss ein Gefangenenlager für Offiziere – das Offizierslager Oflag IV C), die Jugendherberge Schloss Colditz und die Landesmusikakademie Sachsen.
Sonderausstellung im Schloss Colditz
Gleichzeitig fand vom 10. Juni bis zum 6. August 2023 im Fürstenhaus des Schlosses die Sonderausstellung „Auftakt des Terrors – Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“ statt. Auch im Colditzer Schloss befand sich von Anfang 1933 bis Mitte 1934 ein solches frühes Konzentrationslager, in dem ca. 2000 Häftlinge untergebracht waren. Die Ausstellung selbst war informativ, hatte aber kaum Bezug zum Ausstellungsobjekt und seinen damaligen Haftinsassen.
Von Schwarz/Weiß zur Farbe
Aber wir sind ja hauptsächlich zur privaten Spurensuche nach Colditz gefahren. Diese haben wir anschließend im Außenbereich des Schlosses auch aufgenommen. Das auf der alten Fotografie rechts angedeutete Gebäude könnte das Geburtshaus der Mutter meiner Bekannten sein. Uns fiel jedoch auf, dass es zwischen dem Foto und der Realität erhebliche Unterschiede am Haus gibt, wenn auch Einzelheiten (Treppe, Geländer, Fallrohr) auf Gemeinsamkeiten hindeuteten. Neben dem allgemein besseren äußeren Zustand besteht der Hauptunterschied in einem Erker, der auf dem alten Foto nicht vorhanden ist und dem heutigen Haus ein völlig anderes Aussehen gibt.
Wie wir noch so vergleichen und beraten, ob es sich um das gesuchte Haus handeln könnte, taucht, wie vom Himmel geschickt, ein mitteljunger Herr auf, der sich im späteren Gespräch als ehrenamtlicher Stadtführer vorstellte und einfach nur einen Sonntagsspaziergang gemacht hat.
So entstand ein zeitlich und sachlich umfangreiches Gespräch. Auch unser Gesprächspartner war der Meinung, dass historisches Foto und Gegenwart das gleiche Objekt zeigen. Dabei handelt es sich um das sogenannte Schleinitzhaus. Irritierend war für uns alle der Erker, den auch der Heimathistoriker auf älteren Aufnahmen in seinem Online-Archiv, welches er vor Ort gleich zur Recherche benutzte, nicht finden konnte. Das Rätsel wurde aber nach unserer Rückkehr gelöst. Wie fast immer reichte der heimische PC, eine Internetverbindung und die Eingabe von sinnvollen Fachwörtern in eine Suchmaschine dafür aus, das entsprechende Resultat zu finden.
In einem Artikel des Wissensportals des Schlösserland Sachsen wird unter dem Titel „Die Wiedergeburt eines Erkers“ die Geschichte des Hauses interessant beschrieben. Kurz zusammengefasst: Der Erker existierte an dem 500 Jahre alten Schleinitzhaus reichlich 350 Jahre, wurde im späten 19. Jahrhundert bei einem Umbau abgerissen und nun im Zusammenhang mit einer Sanierung im Jahr 2021 wieder neu errichtet.
Colditz an der Zwickauer Mulde
Nach dem angenehmen Austausch verabschiedeten wir uns von unserem Gesprächspartner und meine Begleitung und ich machten sich auf, der kleinen Stadt Colditz noch einen Besuch abzustatten. Infolge der schon fortgeschrittenen Tageszeit wurde es aber nur ein kurzer Spaziergang zur Übersicht.
Colditz, die letzte Stadt an der Zwickauer Mulde, bevor der Fluss nur wenige Kilometer weiter bei Sermuth, mit der Freiberger Mulde zur Vereinigten Mulde fusioniert, hat oberflächlich betrachtet nicht viel zu bieten. Auf den zweiten Blick konnten wir aber schnell erkennen, dass die ältere und jüngste Geschichte Spuren in der Stadt hinterlassen haben, die sehens- und berichtenswert sind. Hierzu ein kleines Beispiel.
Colditz die Porzellanstadt
Welcher DDR-Bürger kennt nicht das Hotelporzellan „RATIONELL“, welches in verschiedenen Dekors in Kantinen, Gaststätten, Kinderferienlagern, Mitropa-Restaurants und sogar in Interhotels als Standardgeschirr Verwendung fand? Zur Leipziger Herbstmesse 1972 wurde „RATIONELL“ mit einer Goldmedaille ausgezeichnet, in diesem Fall nicht ohne Grund. Die Gestalter Margarete Jahny und Erich Müller schufen mit dieser einmaligen Form einen Dauerbrenner, der im VEB Porzellankombinat Colditz, später auch im VEB Henneberg Porzellan Ilmenau, hergestellt wurde. Wer noch ein Kaffeekännchen „RATIONELL“ in seinem Haushalt hat oder auf einem Trödelmarkt findet, kann es probieren. Trotz extremer Neigung, fällt der Deckel nicht ab – ohne zusätzliche Verrieglung. Diese praktische Designleistung reicht aber nur bis 1990.
Danach hielt auch in Colditz der Fortschritt Einzug, nur leider nicht nachhaltig genug. Eigentümerwechsel und die Umfirmierung zum Porzellanwerk Colditz GmbH reichten nicht, es schloss im Jahr 1997 für immer die Tore. Nach 2007 wurden fast alle Gebäude abgebrochen. Heute erinnert die Keramik-Kunst-Route Colditz an die Colditzer Steingut- und Porzellangeschichte.
Colditzer Aussichten
Weitere interessante Objekte in Colditz selbst und in dessen Umgebung warten noch auf ihre Besichtigung. Eine Wiederholung unserer Spurensuche, dann ganz allgemein, ist also unbedingt notwendig. Vielleicht vereinbaren wir dann auch gleich einen Termin mit dem Colditzer Heimathistoriker und lassen uns seine Stadt bei einem Stadtrundgang intensiver zeigen.