Wahrheit und Lüge in Radebeul-Serkowitz
Wahrheit oder Lüge – das Lügenmuseum schließt
„Verzeih’n Sie, mein Herr, fährt dieser Zug nach Serkowitz?“ Diese Frage wurde sicher noch nie gestellt. Bekannter ist dagegen die musikalische Reise nach Kötzschenbroda, die erstmals 1947 besungen wurde. Auf der Basis des Glenn-Miller-Swing-Songs „Chattanooga Choo Choo“, der schon sechs Jahre zuvor in Amerika die Hitlisten stürmte, machte der Berliner Nachkriegsschlagerstar Bully Buhlan den Namen „Kötzschenbroda“ im deutschsprachigen Raum bekannt. Udo Lindenberg coverte die eingängige Swing-Melodie 1983 nochmal und lies seinen Sonderzug nach Pankow fahren.
Und wer kennt Serkowitz?
Das alte Weindorf Serkowitz, erstmals 1315 urkundlich erwähnt, wurde 1905 in die Landgemeinde Radebeul eingemeindet. Dreißig Jahre später, Radebeul und Kötzschenbroda sind inzwischen Städte, fusionieren die beiden Orte zur Stadt Radebeul.
Durch seine Lage an der alten Meißner Post- und Landstraße (heute Kötzschenbrodaer Straße), über die seit Ende des 15. Jahrhunderts auch ein regelmäßiger Post- und Personenverkehr zwischen Dresden und Meißen lief, hatte der im Ortskern liegende Gasthof Serkowitz eine große Bedeutung. Als einer der ältesten Gasthöfe in Radebeul überhaupt, blieb er bis 1963 eine Schankwirtschaft und wurde im Jahr 1973 von der benachbarten LPG Frühgemüsezentrum Dresden – Kaditz übernommen. In deren Folge entwickelte sich der Gasthof Serkowitz durch seine vorzüglichen Speisen und seine verschiedenen Veranstaltungen im 1979 neu renovierten Saal zu einem Magnet für Familien, Einzelpersonen und natürlich für die zahlreichen Kollektive der angrenzenden und weiter entfernten Betriebe.
Mit den gesellschaftlichen Veränderungen 1989 / 1990 wurde es aber still im Gasthof, bis das denkmalgeschützte Haus im Jahr 2007 über eine Zwangsversteigerung für 10.000 Euro an die Stadt Radebeul fiel. Es folgten Leerstand und Verkaufsversuche durch die Stadt.
Vom Gasthof zum Museum
Schließlich gab es im September 2012 im stark in Mitleidenschaft gezogenen Objekt eine Neueröffnung. Richard von Gigantikow präsentierte im alten Gasthof in Serkowitz bei Dresden das Lügenmuseum. Der in Erfurt geborene Künstler Reinhard Zabka, der auch als Richard von Gigantikow auftritt, und seine Frau Dorota richteten ein Museum der besonderen Art ein. Für Radebeul war Richard von Gigantikow damals kein Unbekannter, hat er doch seit 1999 das feurige Finale des Herbst- und Weinfestes an den Radebeuler Elbwiesen ausgerichtet.
In 16 Räumen zeigen sich den Besuchern Objekte, Filme, Kitsch, Fundstücken, Altholz, Schrott und Kuriositäten. Alles zusammen wird es in klirrende, klingelnde, knarrende und musische Klanginstallationen gepackt, die durch allerlei farbige Lichtelemente in Szene gesetzt werden. Das Lügenmuseum zeigt u.a. die Himmelsscheibe von Serkowitz, präsentiert van Goghs abgeschnittenes Ohr und lässt einen Blick in das Loch in Mozarts Zauberflöte zu.
Vom Atelier des Dissidenten geht die Reise zum Kabinett der Träume, vorbei am Psychedelica Maschinka und der Kathedrale des Sozialismus bis hoch hinaus in den Tanzsaal. Im historischen Ambiente, indem noch immer der prachtvolle Leuchter mit seinen 98 Lampen hängt, allerdings unbeleuchtet, stapeln sich Altäre, Dekorationen und jede Menge beleuchteter und unbeleuchteter, bewegter und unbewegter Objekte.
Hinter vielen Dingen, die im Lügenmuseum gezeigt werden, steckt Wahrheit, manchmal als Lüge versteckt. Die Betrachter müssen beides nur finden. Es ist fast wie im richtigen Leben.
Offensichtlich hat das Wirken des Reinhard Zabka Spuren hinterlassen. Im Jahr 2016 erhielt der Objektkünstler und Kunstinitiator den Radebeuler Kunstpreis.
Verkauft, gekündigt, verlängert in Radebeul
Mit dem Weitblick, das unter Denkmalschutz stehende Haus zukünftig zu sanieren und den neuen Nutzer dabei immer ein Bleiberecht einzuräumen, stellte die Stadt Radebeul den Gasthof Serkowitz Herrn Zabka vorübergehend zur Verfügung und übernahm auch gleich die Kosten für die Dachsanierung. Fast zeitgleich mit der Eröffnung des Lügenmuseums, begann die Stadt Radebeul das Objekt immer wieder zum Verkauf auszuschreiben. Das Kaufinteresse war bescheiden.
Lügenmuseum bleibt
Letztmalig wurde im Oktober 2023 der Verkauf des Gasthofes Serkowitz an den Berliner Autor und Verleger Wilhelm Ruprecht Frieling bekannt gegeben. Dieser wollte in dem Gebäude ein Kulturzentrum für freie Künstler und Kunst einrichten und das Lügenmuseum dabei als Anker sehen. Allerdings zog Herr Frieling sein Kaufangebot im Frühjahr 2024 zurück. Angeblich fanden sich der Betreiber des Lügenmuseums und der zukünftige Hausbesitzer nicht so nett.
Lügenmuseum bleibt doch nicht
Recht unerwartet erhielt der Kunstpreisträger Reinhard Zabka im Mai 2024 die Kündigung zum 31. August 2024. Das hätte noch bis vor einigen Tagen bedeutet, dass das Haus bis zum genannten Termin geräumt sein muss.
Nun haben sich aber Reinhard Zabka und Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche geeinigt, dass die Schließung zwar bleibt, aber Herrn Zabka eine Frist zum 31. März 2025 gegeben wird.
Gleichfalls will die Stadt Radebeul den Gasthof Serkowitz in diesem Jahr erneut zum Verkauf ausschreiben. Herrn Zabka wird so die Möglichkeiten gegeben, ein eigenes Kaufangebot abzugeben und durch den Erwerb den Fortbestand des Lügenmuseum zu sichern.
Lügenmuseum bleibt vielleicht
Ich bin gespannt und hoffe sehr, dass dieses Unikum bestehen bleibt, auch wenn es manchen Leuten in Radebeul und Umgebung nicht gefällt. Sollte es in das Eigentum des Richard von Gigantikow übergehen, werden neue Probleme entstehen, manche Unsicherheiten der Vergangenheit sind dann aber beseitigt.
Vielleicht werden dann im Jahr 2035 zur Hundertjahrfeier der großen Stadt Radebeul einige Lügen und Wahrheiten im Gasthof Serkowitz, im Lügenmuseum, erzählt.