Kennen Sie Großschweidnitz?
Der letzte Sonntag im Januar 2024
Der letzte Sonntag im Januar 2024 war sonnig und trocken. Beste Voraussetzungen für eine Wanderung oder einen schönen Ausflug in die Natur. Sich richtig erholen, keine Gedanken machen, eigene oder fremde Sorgen einfach ausblenden.
Ich wählte mit meiner Begleiterin einen anderen Weg. Unsere Kurzreise führte uns nach Großschweidnitz, einer kleinen Gemeinde südlich von Löbau. Unser Ziel war die im Jahr 2023 neu eingerichtete Gedenkstätte Großschweidnitz.
Von der Pflegeanstalt zur Euthanasie-Stätte
Am 1. April 1902 eröffnete in Großschweidnitz bei Löbau eine neue Heil- und Pflegeanstalt für psychisch kranke Menschen. Die Königlich-Sächsische Heil- und Pflegeanstalt verfügte zu diesem Zeitpunkt über 524 Betten. Schon 10 Jahre später wurde die Bettenkapazität auf 734 erhöht. Die Einrichtung galt zu dieser Zeit als modern, durch Arbeitstherapie und kulturelle Betreuung konnte der psychische Zustand vieler Patienten verbessert werden. Die Heilung war das Ziel.
Die mangelnde Versorgung in der Kriegsjahren 1914 – 1918 und später hatte nicht nur in der Anstalt Großschweidnitz eine höhere Sterberate zur Folge. Während der Weimarer Republik gab es anfänglich Versuche, den Weg wieder in Richtung Patientenheilung zu gehen, was natürlich mit höheren Kosten verbunden war. Im gesamten Deutschen Reich entstand schon bald eine öffentliche Diskussion darüber, ob psychisch kranke Menschen nicht doch nur „minderwertig“ sein und deshalb an der Fortpflanzung gehindert werden müssen.
Mit Beginn des NS-Regimes wurden diese Gedanken in die Praxis überführt. International schon lange unter dem Begriff Eugenik bekannt, bezeichneten die Nationalsozialisten diese Lehre von den „guten Erbanlagen“ als Rassenhygiene und verbreiteten diese These mit einem hohen propagandistischen Aufwand in der „Volksgemeinschaft“.
Rund 70.000 Menschen, die nicht der „Norm“ entsprachen, weil sie psychisch krank oder geistig beeinträchtigt waren, wurden in den Jahren 1939 bis 1945 in zahlreichen Heil- und Pflegeeinrichtungen und in speziell umfunktionierten Tötungsanstalten (wie z.B. Pirna-Sonnenstein) ermordet.
Auch die Anstalt Großschweidnitz wurde ab 1933 schleichend und ab dem Spätsommer 1939 intensiv, hier besonders im Zusammenhang mit der Mordaktion „Aktion T4“, in diese Vernichtungsstrategie eingebunden. So starben in der Krankenanstalt Großschweidnitz 5.500 Menschen, die meisten durch zwangsweise Unterernährung bzw. durch Medikamente. Dieses Schicksal betraf auch eine Vielzahl von Kindern, die ab 1940 vom Katharinenhof Großhennersdorf nach Großschweidnitz gebracht wurden. Die angestellten „Pflegekräfte“ ermordeten sie durch die Spritze.
Für weitere 2.300 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen war Großschweidnitz eine Zwischenstation in den Tod. Sie kamen aus anderen Heileinrichtungen und wurden mit Sammeltransporten in die Gaskammern der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein gebracht.
Die Gedenkstätte Großschweidnitz
Seit 2012 existiert in Großschweidnitz der Verein Gedenkstätte Großschweidnitz e.V. Der von der Gemeinde unterstützte Verein kümmert sich seit seiner Gründung um die Aufarbeitung der Anstaltsgeschichte und um die Einrichtung einer Gedenkstätte. Diese ist inzwischen unter der Obhut der Stiftung Sächsische Gedenkstätten.
Der 13. Mai 2023 war für Verein und Stiftung ein großer Tag. In der ehemaligen Pathologie der Landesanstalt, die noch einen modernen Anbau erhalten hat, wurde eine Dauerausstellung eingeweiht. In fünf Räumen können sich die Besucher über die Vorgeschichte der Krankenmorde und ihre Durchführung in Großschweidnitz informieren. Dabei stehen die Leben und die Leiden der Opfer im Mittelpunkt. Die Mittel und Vorgehensweisen der Täter, die zur Vernichtung der Psychiatriepatienten führten, werden ebenso schonungslos aufgeführt. Dafür haben die Kuratoren an manchen Objekten sogenannte Triggerwarnungen (Hinweise zu psychisch belastenden Aussagen) vorgeschaltet.
In der gesamten Präsentation gibt es viel zu lesen. Das macht den Aufenthalt interessant, aber auch etwas zeitintensiv. Trotzdem gefiel uns diese Art der Ausstellungsgestaltung. Auch nach dem Verlassen des Gebäudes hörte die Beschäftigung mit dem Thema nicht gleich auf.
Der Eintritt ist frei, Spenden sind möglich.
Nachdenken
Nach Verlassen der Gedenkstätte beschäftigten mich zwei Informationen besonders. Der einstige Staat DDR, der ja nach eigenen Angaben mit der NS-Zeit konsequent abgerechnet hat, gedachte auf dem Anstaltsfriedhof in einem „Ehrenhain“ nur den ermordeten Zwangsarbeitern aus Polen und der Sowjetunion. Für die weit über 5.000 weiteren Opfer fand sich kein Platz des Gedenkens.
Auf dem Personalfriedhof, der ebenso als Flächendenkmal gilt, ist ein schön gepflegtes Grab mit Grabstein zu finden. Es erinnert an die in Großschweidnitz lange tätige Ärztin Elfriede Ochsenfahrt. Beim „Euthanisie“-Prozess 1947 in Dresden trat sie als Zeugin auf, verschwieg aber ihre eigene Beteiligung an medikamentösen Morden. In der DDR konnte sie ungehindert Karriere machen.