Die Schatten über Pirna Sonnenstein
Eine Führung durch die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein
Hoch oben über der Elbe und über der Altstadt von Pirna liegt das Schloss Sonnenstein. Die Entstehungsgeschichte reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. An den mit vielen Bäumen und einem großen Park gestalteten Schlosskomplex grenzt der gleichnamige Pirnaer Stadtteil Sonnenstein an.
Mit Pirna-Sonnenstein verbindet sich aber auch der Name einer Gedenkstätte, deren Gründung am 3. Juni 1991 erfolgte. Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein ist ein Ort der Erinnerung. Hier wird an die Opfer der Euthanasie-Verbrechen der nationalsozialistischen „Aktion T4“ gedacht.
Die Gedenkstätte Sonnenstein
Der Besuch der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein ist täglich möglich und kostenfrei. In den Außenanlagen und im Keller des Hauptgebäudes finden sich zahlreiche Spuren dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte. Die im Obergeschoss untergebrachte Dauerausstellung stellt sehr ausführlich die Geschichte der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt dar. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Präsentation der sogenannten „Aktion T4“.
Die Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein
Am 8. Juli 1811, vor reichlich 200 Jahren, wurde auf dem alten Festungsbereich Sonnenstein die „Königlich Sächsische Heil- und Verpflegungsanstalt Sonnenstein“ eröffnet. Diese Einrichtung wurde ausschließlich mit dem Ziel gegründet, psychisch kranke Menschen zu heilen. In dieser Eindeutigkeit war das erstmalig in Deutschland. Im Laufe der Zeit waren die Maßnahmen sehr erfolgreich und der dadurch erlangte Ruf äußerst positiv. Das hatte eine Zunahme der Patientenzahl zur Folge.
Bis 1914 verfügte der Heil- und Pflegekomplex schon über 20 Gebäude. Der erste Weltkrieg und seine Folgen machten auch vor Sonnenstein nicht halt. Durch strikte Einsparungsverordnungen, besonders bei Lebensmitteln, Kohle und Medikamenten, und durch die teilweise Nutzung als Reservelazarett konnte der reguläre Behandlungsmodus erst in den 1920er Jahren wieder erreicht werden. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten traten die ersten einschneidende Veränderungen ein.
Nach 128 Jahren folgte dann am 9. Oktober 1939 die Auflösung der ersten deutschen Heilanstalt durch den sächsischen Innenminister. Der Komplex wurde der Wehrmacht unterstellt. Eine umfangreiche Darstellung der Bauten der Heil- und Pflegeanstalt kann im Heft 2 der Pirnaer Miniaturen nachgelesen werden [ 1 ].
Eugenik, Euthanasie – die Aktion T4
Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde international vereinzelt das Ziel verfolgt, ein Volk durch Beseitigung unwerten Lebens eine Höherentwicklung zukommen zu lassen. Der Begriff „Eugenik“ wurde geboren, später in Deutschland als Rassenhygiene bezeichnet.
In der von den Nationalsozialisten selbst definierten Rassentheorie wird der Begriff Rassenhygiene im Sprachgebrauch für Mordaktionen zur Beseitigung von angeblich lebensunwerten Menschen benutzt. Propagandistisch durch kostenlose Publikationen und Plakate unterstützt, wurde die „Volksgemeinschaft“ auf die Notwendigkeit der Beseitigung von „Erbkranken“ eingerichtet. Dafür wurde extra die „Aktion T4“ geschaffen, bezeichnet nach einer Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Dort hatte die mörderische Organisation ihren Hauptsitz.
Mit der Umgestaltung von fünf ehemaligen psychiatrischen Einrichtungen zu Tötungsanstalten (die sechste befand sich im Zuchthaus Brandenburg), zu der auch die Heil- und Pflegeanstalt Pirna gehörte, begannen ab 1940 die schon Jahre vorher geplanten Euthanasie-Morde.
Von der Heilanstalt zur Tötungsanstalt
Mit der Festlegung, in der ehemaligen Heil- und Pflegeeinrichtung eine Tötungsanstalt einzurichten, begann 1940 der Vernichtungsbetrieb. 14.751 Menschen, vorwiegend psychisch kranke und geistig behinderte Menschen, wurden in Pirna-Sonnenstein vergast. Nicht alle Opfer waren vorher schon Patienten der dortigen Heilanstalt. Die meisten wurden aus anderen Heileinrichtungen (u.a. auch aus der Heilklinik Hubertusburg) nur für einen einzigen Zweck, der Tötung, nach Pirna-Sonnenstein transportiert. Die eigentliche Nutzung der ehemaligen Heilanstalt für die „Aktion T4“ umfasste den Jahresabschnitt 1941/42.
Die Führung durch die Gedenkstätte
Die von mir im Sommer 2021 besuchte Führung begann vor dem Hauptgebäude der Gedenkstätte Sonnenstein, dem ehemaligen Männerhaus E. Sehr ausführlich wurden die Hintergründe, die zur Wandlung von der Heilanstalt zur Tötungsanstalt führten, erläutert. Der Rundgang im Inneren des Gebäudes führte uns in den Keller.
Hier stoßen wir auf zahlreiche freigelegte Spuren. Dazu zählen die als Duschraum getarnte Gaskammer, die Grundanlagen der beiden Verbrennungsöfen und mehrere Informationstafeln und Vitrinen, in denen persönliche Gegenstände der Opfer gezeigt werden. Ebenfalls im Keller befinden sich zwei Erinnerungsräume.
Da viele Gebäude des Komplexes bis zum Ende der DDR-Zeit als Betriebsgebäude genutzt wurden, sind über die Jahrzehnte leider auch zahlreiche Spuren entfernt worden.
Zum Abschluss der sehr eindrucksvollen Führung verließen wir das Gebäude noch einmal. Alle Teilnehmer richteten die Aufmerksamkeit auf das sechs Meter hohe Gedenkkreuz und den dahinter liegenden, bewaldeten Hang. Kreuz und Hang haben seit 2011 einen unmittelbaren Zusammenhang. Auf dem Hang wurde die Asche der meisten in den Verbrennungsöfen verbrannten Opfer aufgeschüttet. Mit der Errichtung des Gedenkkreuzes im Jahr 2011 soll nun dieser Menschen an dieser Stelle gedacht werden.
Epilog
Es ist nicht das Ziel dieses Blogs, schon oft beschriebene Tatsachen zu wiederholen. Hinzu kommt, dass es zahlreiche wissenschaftliche Dokumentationen gibt, die alles Geschehene komplexer und tiefgreifender darstellen können. Trotzdem erachte ich es als notwendig, manche Tatsachen, die mir erst durch diese Führung so bewusst geworden sind, noch einmal gesammelt aufzuführen.
Literatur
- [1] Die Bauten der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein, Böhm Boris, ISBN: 9783981377248