Neustadt in Sachsen – die Stadt im Grenzwinkel
Warum Neustadt in Sachsen?
Im Mai des Jahres 1982 besuchte ich erstmals die Kleinstadt Neustadt in Sachsen. Am Bahnhof der Stadt befand sich der Startpunkt zu einer Sportwanderung. Über 50 km sollte es „Auf Höhenwegen zum Grenzwinkel“ gehen.
In den späteren Jahren folgten weitere organisierte und private Wanderungen von Neustadt aus. Für einen längeren Stadtbummel hatte ich mir bisher nie Zeit genommen. Nun, knapp 40 Jahre nach meinem ersten Besuch, nutzte ich einen sonnigen Tag, um die in der ehemaligen DDR für ihre Landwirtschaftsmaschinen bekannte Stadt näher kennenzulernen. Am Ende meiner Stadtexkursion behalte ich Neustadt in Sachsen als kleine und auch interessante Stadt in Erinnerung.
Die Lage kompakt
Neustadt in Sachsen ist geografisch zwischen der nördlichen Sächsischer Schweiz und dem Lausitzer Bergland zu finden. Am Fuße der Götzingerhöhe gelegen, kann die Stadt über mehrere Wege erreicht werden.
Als öffentliche Verkehrsmittel bieten sich die Bahn und der Bus an. Die Fahrpläne des ÖPNV zeigen für jeden Tag eine ständige Erreichbarkeit. Mit dem PKW ist eine Anreise von der Autobahn A4 kommend über Bischofswerda oder aus der Region Sächsische Schweiz via Sebnitz und Bad Schandau möglich. Natürlich sind auch Fahrradfahrer willkommen. Die Lage des Ortes im Neustädter Tal macht die Anreise etwas anstrengend.
Die Geschichte im Überblick
Schon 1333 wurde Neustadt / Sachsen urkundlich erwähnt. Die Historiker verbinden die Anlage der Stadt mit einem zu erwartenden Goldbergbau, wohl ohne nennenswerten Erfolg. Zumindest förderte die Lage der Stadt an einer mittelalterlichen Handelsstraße den Aufschwung. Die Alte Salzstraße von Halle (Saale) nach Nordböhmen hatte hier ihren Straßenverlauf. In einem Bericht von 1483 wird Neustadt auch als Zollstadt aufgeführt, was Einnahmen garantierte.
Das Salz wurde im Nachbarland gegen böhmisches Glas getauscht. Über die gleiche Route gelangte dieses wieder zurück. So begründet sich teilweise der zweite Name der Straße als „Böhmische Glasstraße“.
Neustadt in Sachsen wird geschichtlich auch als Ackerbürgerstadt bezeichnet. Handel und Handwerk waren im Ort vorhanden und hatten infolge der Lage schnell Fuß gefasst. Den Wohlstandes erzielten die Neustädter jedoch mit der Landwirtschaft. Der Flachsanbau und die damit verbundene Leineweberei dienten der Bevölkerung als bedeutendster Broterwerb. Immerhin gab es 1804 in der Stadt 160 Webermeister. Auch das Privileg Jahrmärkte und Viehmärkte abhalten zu können hatte viele Vorteile.
Erst im 19. und 20. Jahrhundert gab es signifikante Veränderungen und Entwicklungen, welche der ständig steigenden Bevölkerungsanzahl ihr tägliches Brot und der Stadt immer mehr Bekanntheit und Ansehen verschaffte.
Die Errichtung der Kunstblumenindustrie (industrielle Fertigung bis 1990) und die Schaffung der verarbeitenden Metall- und Stahlindustrie sind zwei Beispiele. Letztere wurde von 1948 bis 2004 in verschiedenen Gesellschaftsordnungen betrieben und verbindet sich hauptsächlich auch mit dem Namen „VEB Kombinat Fortschritt Landmaschinen“. Nach dessen Auflösung 2004 wird ab 2007 mit der Firma CAPRON GmbH – Caravan Produktion Neustadt eine bis heute anhaltende, neue Neustädter Erfolgsgeschichte geschrieben.
Meine Wege durch die Stadt
Meine Anreise erfolgte mit dem PKW, ich parkte am Parkplatz P1 zwischen Neustadthalle und der Mariba Freizeitwelt. Innerhalb weniger Minuten kann die Stadtmitte zu Fuß erreicht werden.
Im größten Gebäude gegenüber dem Parkplatz, der Neustadthalle, befindet sich das Tourismus-Service Zentrum. Zu den Öffnungszeiten findet der Besucher zahlreiche Informationen und Anregungen in gedruckter Form.
Schon an der Neustadthalle und dem angrenzen Park fielen mir beschriftete Metallschilder auf. In der gesamten Stadt stehen zwanzig dieser Hinweistafeln. Sie gehören zu einer sogenannten Tafelrunde. Die heimatinteressierten Dr. Ingrid Grosse war im Jahr 2010 die Initiatorin. Die Tafelrunde selbst bildete die Basis für geführte Stadtrundgänge.
Die Neustadthalle
Die Neustadthalle, auch Schützenhaus genannt, hat als Gebäudeensemble an diesem Ort eine lange Tradition. Als Schieß- und Schützenhaus angelegt, fungierte es bis 1945 als Versammlungs- und Veranstaltungszentrum. Ab den 1950er Jahren war hier fast 40 Jahre lang das Kreiskulturhaus „Karl Liebknecht“ untergebracht. Nach einem umfangreichen Umbau, das alte Schützenhaus wurde 1992 abgerissen und durch einen Neubau nach historischem Vorbild ersetzt, hat die Kleinstadt seitdem ein neues Wahrzeichen.
Der Stadtpark
Der angrenzende Stadtpark, nach seinem Stifter als „Arthur-Richter-Park“ benannt, ist eine kleine Ruhe Oase. Arthur Richter war ein Neustädter Kaufmann und lebte von 1835 bis 1892 unverheiratet und kinderlos in seiner Stadt. Der Park wurde noch im Todesjahr von Richter angelegt. Er lädt heute seine Besucher zur Entspannung und zum Verweilen ein.
Die St. Jacobikirche
Ich verlasse bei meinem Stadtspaziergang den Park und gelange über die Badegasse zur Ev.-Luth. St. Jacobikirche. Schon 1346 als Stadtkirche bekannt, erlebte das Bauwerk mit dem 65 m hohen Turm mehrere bauliche Veränderungen. So wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts nach Entwürfen von Kirchenbaumeister Gotthilf Ludwig Möckel (1838 – 1915) zur jetzigen neogotischen Form umgebaut. Der in Zwickau geborene G. L. Möckel ist als Architekt kein Unbekannter. Zahlreiche Gebäude in Sachsen und Mecklenburg sind mit seinem Namen verbunden. Das Münster in Bad Doberan wird dabei gern als sein markantestes Objekt genannt. Die Jacobikirche selbst wurde in den Jahren 2004 bis 2007 umfassend restauriert (die Eule-Orgel 2010) und steht heute jedem Besucher zur Besichtigung offen.
Das Pfarrhaus
Ein nicht nur optisch interessantes Gebäude befindet sich gleich neben der Kirche. Es wurde 1616 erbaut und ist das älteste Wohngebäude Neustadts. Bei der Sanierung im Jahr 1997 wurde die jetzige Fachwerkfassade wieder in voller Schönheit sichtbar gemacht. Ebenso interessant ist das Sitznischenportal an der Eingangstür. Entsprechend der Bauzeit darf es der Spätrenaissance zugerechnet werden.
Neben dem Pfarrer Gabriel Reich wohnte auch der Theologe Wilhelm Leberecht Götzinger (1758 – 1818) im Pfarrhaus. Von 1787 bis zu seinem Tode 1818 lebte er hier. Götzinger gilt auch als Entdecker und Erschließer der Sächsischen Schweiz. 1883 wurde anlässlich der Einweihung eines eisernen Aussichtsturms der Achtlindenberg in Götzinger Höhe umbenannt.
Rathaus und Marktplatz
Nur wenige Schritte von evangelischer Kirche und Pfarrhaus entfernt, befindet sich der Marktplatz mit dem zentral stehenden Rathaus. Mit seinem großen Dach und dem markanten Farbanstrich sieht es schon imposant aus. Ähnlich wie in Pirna, der kleinen Stadt an der Elbe, steht das Rathaus völlig frei mitten auf dem Marktplatz, was auch eine Seltenheit sein soll. Seit 1703 äußerlich fast unverändert, hat es Brände und Kriege überstanden.
Das Rathaus ist von einem großen Marktplatz umgeben, der wiederum umfassend von Bürgerhäusern eingefasst ist. Einige davon erschienen mir interessant.
Stadtapotheke und Friedrich Adolph August Struve
In der Dresdener Straße 2, einer nach Westen den Marktplatz verlassenden Straße, befindet sich die Stadtapotheke. Das Gebäude brannte 1945 ab und wurde 1954 wieder errichtet. An der straßenseitigen Fassade wird dies großflächig vermerkt, ergänzt mit dem Hinweis, dass in diesem Haus ein gewisser Dr. Friedrich Adolph August Struve geboren wurde. Wer war Friedrich Adolph August Struve, dass die Neustädter seinen Namen an dieser Hauswand verewigten? Eben da 1781 geboren und 1840 in Berlin verstorben, wurde er durch seine „naturgetreue Nachbildung“ von Heilwasser bekannt. Nach einer Ausbildung in Meißen und einem Medizinstudium in Leipzig, wo er auch promovierte, übernahm er in Dresden die Salomonis-Apotheke und gründete eine Mineralwasserfabrik. In vielen europäischen Kurorten und in einheimischen Trinkanstalten wurden von da ab die „Struveschen Heilwässer“ verabreicht. Eine der Nachfolgeeinrichtungen, die Dr. Struve Mineralwasser KG, existierte noch bis 1968 in Dresden. Im sogenannten „Struve Carree“ erinnert heute eine Tafel an den Erfinder.
Der Marktbrunnen von Vinzenz Wanitschke
Fast diagonal gegenüber der Stadtapotheke, an der Rathausrückseite, finde ich eine umfangreiche Brunnengestaltung. Es handelt sich um den Neustädter Marktbrunnen, 1998 vom Dresdner Bildhauer Vinzenz Wanitschke (1932 – 2012) errichtet. Der Wassertrog mit dem erfrischenden Nass wird von zahlreichen Skulpturen und Bänken zum Ausruhen und Genießen eingefasst. Die Gesamtgestaltung soll an die Viehmärkte erinnern, die über Jahrhunderte in Neustadt abgehalten wurden. Interessant: der Brunnen enthält eine fehlerhafte Abrechnung, welche mit etwas Augenzwinkern an die Marktgeschäfte erinnern soll und wie sie sicher auch heute noch auf vielen Trödel- oder Wochenmärkten möglich sind.
Café Wochenpost und Heimatmuseum
Beim weiteren Spaziergang entdecke ich ein Gebäude, dessen Baustil mich etwas an DDR-typische Gesellschaftsbauten erinnert. 1958 erbaut, wurde hier zum „10. Geburtstag der Republik“ das Café Wochenpost eingeweiht. Ein Lesecafé, in dem bis zu seiner Schließung 1990 insgesamt 153 Veranstaltungen in Form von Buchpräsentationen (ohne Kaufzwang), Lesungen und Vorträgen abgehalten wurden. Übrigens: der Name „Wochenpost“ wurde nicht zufällig gewählt. Die Redaktion der feuilletonartig angelegten Wochenzeitung gleichen Namens (in der DDR immer donnerstags am Zeitungskiosk schnell vergriffen) war hier der Mitinitiator. Leider gibt es meines Wissens aktuell keine adäquate Einrichtung.
Den Marktplatz verlassend folge ich einem großflächigen Hinweis zum Heimatmuseum (eigentlich Stadtmuseum Neustadt). Einen Besuch spare ich mir für einen späteren Stadtbesuch auf. So laufe ich noch durch einige kleine Straßen bis zur Polenz, einem kleinen Flüsschen, das seinen weiteren Verlauf sehr idyllisch durch das beliebte Polenztal in der Sächsischen Schweiz findet. Am Parkplatz angekommen, entschließe ich mich noch zu einer Stippvisite auf der Götzinger Höhe. Mit dem PKW ist die Anhöhe schnell erreicht.
Götzinger Höhe
Die Götzinger Höhe, eine kleine Erhebung mit reichlich 420 m, war schon bei meinen eingangs erwähnten Sportwanderungen ein beliebter Zielort. So verbindet sich der kurze Besuch mehr mit Erinnerungen an eine Berggaststätte mit feinen Speisen und einem Weg zum Bahnhof oder Busbahnhof, der bergab ging. Die alte Gaststätte wurde 1997 durch den jetzigen Bau ersetzt. Für schwindelfreie Turmkletterer bietet sich die Besteigung des 25 m hohen, eisernen Turmes an.
Interessant ist die Namensgebung. Die „Götzinger Höhe“ wird teilweise auch „Götzingerhöhe“ geschrieben. Der Berggasthof geht den doppelten Weg, im Logo mit Leerzeichen, am Gebäude ohne.
Finale ohne Mähdrescher
So beende ich meinen ausgedehnten Ausflug nach Neustadt in Sachsen. Vieles bleibt hier noch unerwähnt. Vielleicht die Geschichte des Kombinat Fortschritt Landmaschinen, dem ehemaligen Arbeitgeber für Tausende Menschen aus Neustadt und Umgebung. Vielleicht auch noch der eine oder andere Hinweis zu Freizeitmöglichkeiten.
Ich habe Neustadt in Sachsen nun endlich mal ausgedehnter kennengelernt. Die Stadt hat mir gefallen und das Stadtmuseum steht noch auf meiner Liste. Eine Wiederholung eines Besuches ist also sehr wahrscheinlich.